Kirsten J.
58 Jahre
Dresden

Vierzehn Tage nach der Wende beschlossen wir, auch in den Westen zu fahren und uns das Begrüßungsgeld abzuholen wie alle anderen. Wir entschieden uns, von Dresden nach Hof zu fahren, weil wir glaubten, dass in Berlin ein zu großer Andrang an den Vergabestellen herrschen würde. Wir kamen gut durch – mein Mann und ich mit unserem zwei Monate alten Kind in unserem Wartburg Kombi – und die Geldausgabe in Hof ging auch ohne Schlange vonstatten, sodass wir am Ende noch Zeit hatten. Und so überlegten wir uns spontan, meiner Verwandtschaft in Göttingen noch einen Überraschungsbesuch abzustatten. Wir hatten einen alten DDR-Atlas dabei und kamen zu dem Ergebnis, dass Göttingen nicht weit von Hof entfernt war. Auf der Fahrt merkten wir, dass wir uns gehörig verschätzt hatten. Also ging unser ganzes frisch erworbenes Begrüßungsgeld bald für Benzin drauf. Zudem mussten wir an den Tankstellen auch noch Motorenöl kaufen, weil wir ja einen Zweitaktmotor hatten. Der Tankwart wollte das Öl vorne im Motor einfüllen und wir mussten ihm erklären, dass es aber mit dem Benzin in den Tank sollte. Auf der letzten Etappe kurz vor Göttingen fiel zu allem Überfluss noch ein Teil vom Auspuff ab, sodass wir laut knatternd beim Haus meiner Cousine am Nikolausberg bei Göttingen vorgefahren kamen. Die Überraschung war gelungen und wir haben dann die Nacht dort verbracht und sind am nächsten Tag wieder zurückgefahren. Meine Cousine hat uns als Geschenk für den Rest der Familie in Dresden eine große Palette Joghurt mitgegeben. Das, was es in der DDR als Joghurt zu kaufen gab, hatte den Namen wirklich nicht verdient, das war mehr eine wabbelige Masse. Und so kamen wir ohne Begrüßungsgeld, das wir ja in Benzin umgesetzt hatten, aber dafür mit viel Joghurt und einen Tag später wieder zu Hause in Dresden an.