Ich hatte lange vorgehabt, dieses Begrüßungsgeld schlicht und vornehm zu ignorieren und es nicht abzuholen. Natürlich fand ich das eine sehr freundliche Geste, aber das hatte immer so einen Touch von Bestechung und den wollte ich eigentlich nicht. Dann gab es aber eine Situation, wo die Not akut wurde. Ich brauchte dringend ein Holzschutzmittel für den Küchenschrank meiner Großmutter, der vollkommen verwurmt war. In der DDR gab es nur ein Holzschutzmittel, Hylotox, das man den Leuten tatsächlich über den Ladentisch angeboten hat, wissend, dass es sich um ein hochgradiges Gift handelte. Da war DDT drin und Lindan und das roch man. Ich hatte „Der stumme Frühling“ von Rachel Carson und die ganzen Geschichten über entlaubte Wälder gelesen. Es war mir schon immer ein Bedürfnis, mich für die Unversehrtheit der Natur einzusetzen. Und natürlich wusste ich, dass in der DDR nicht das Mögliche getan wurde.
Ich hatte Hylotox bei einem anderen Möbelstück angewendet, es war ja das einzige Mittel, das es gab. Wer weiß, wie ich mir damit den Kopf vernebelt habe. Als ich im Küchenschrank wieder den Wurm fand, war mir klar: nicht noch mal Hylotox. Also bin ich zwischen den Jahren nach West-Berlin gefahren. Ich hatte in der „Zitty“ eine Werbung gesehen für einen Laden in der Pariser Straße, der Bio-Farben hatte. Ich war hin und weg, dass es da einen ganzen Laden nur mit Farben auf Naturbasis gab. Tatsächlich hatten die was für mich. Damit bin ich nach Hause gefahren und war glücklich. Das Tollste war das Öffnen der Büchse. Mir schlug ein Geruch entgegen, das war wie Limonade. Es roch, als hätte ich es sofort trinken können. Das lag daran, dass ein Ringelblumenextrakt beigemischt war. Da dachte ich: „So riecht also der Westen.“ Ich war mir fast sicher: Das wird den Holzwurm nicht beeindrucken. Aber das Wunder geschah, das Mittel hat auch noch gewirkt. Und das war schon ein starkes Argument in meiner Sozialisation. Den Schrank gibt es heute noch und da waren nie wieder Würmer drin.