Potraitfoto Ute

Ute
61 Jahre
Berlin

Am 9. November war ich schon früh im Bett, aber mein Mann schaute Fernsehen und berichtete mir, was in den Nachrichten erzählt wurde. Aber ich habe es ihm nicht geglaubt, er hat es wahrscheinlich selbst nicht ganz geglaubt. Erst als am nächsten Tag die Hälfte meiner Schüler fehlten, wurde mir bewusst, dass hier gerade etwas passiert. Am nächsten Tag gingen meine Schwester und ich mit meinem vierjährigen Sohn zum nächsten Übergang, zur Bornholmer Straße, um in den Westen zu fahren. Da stand die Polizei, die kontrollierte Ausweise, das machte uns schon noch Angst. Aber der Ansturm war dann so groß, dass sie einfach beiseite gingen und plötzlich konnten wir einfach so durch. Ich war besorgt darüber, ob die uns nachher wieder reinlassen würden!

Drüben stiegen wir dann in irgendeinen Bus. Bezahlen musste man da nicht, nur seinen Ausweis vorzeigen. Wir kannten uns überhaupt nicht aus und landeten im Märkischen Viertel. Dort ging es zu einer Sparkasse, wo wir uns einfach mit anstellten, um das Begrüßungsgeld abzuholen. Die Schlangen waren lang, aber die Angestellten waren sehr freundlich, das weiß ich noch genau. Mit dem Geld, 300 DM für uns drei, ging es dann zu Woolworth. Dort kaufte ich mir meinen ersten „Goldschmuck “. Die Ohrringe waren etwas, das ich mir vorher nicht hätte leisten können. Gleich im Geschäft trug ich sie und nahm sie nicht einmal mehr nachts heraus. Für meinen Sohn war sein neuer Jogginganzug aus Fallschirmseide das Größte. Das ganze Einkaufen machte hungrig und an einem türkischen Stand probierten wir noch etwas Neues: Döner! Auf dem Rückweg waren die Straßen so voll, dass die Busse nicht mehr durchkamen. Wir mussten die lange Strecke zurücklaufen. Nach diesem Tag beschloss mein Sohn, dass er nie wieder in den Westen wolle, denn „da müsse man immer so lange laufen“!