Julia S.
70 Jahre
Jena

Genau wann und wo wir uns das Geld abgeholt haben, das weiß ich gar nicht mehr. Aber auf jeden Fall gehörten wir nicht zu denen, die die Banken gestürmt haben. Ich fand es furchtbar, mit anzusehen, wie sich die Leute vor den Lkws rangelten, sich die Brillen gegenseitig von den Nasen schmissen. Wir haben da Abstand gehalten und sind wieder nach Hause. Die Entscheidung, unser Begrüßungsgeld für eine Reise zu verwenden, war in der Familie ziemlich schnell gereift. Und auch das Reiseziel war aufgrund meiner Geschichte schnell klar.

Als Kind lebte ich mit meinen Eltern in Mainz, als ich neun Jahre alt war, zogen wir jedoch nach Jena, da mein Vater eine Berufung an der Uni Jena annahm. Lange Zeit hatte ich eine richtige Sehnsucht nach Mainz, dem Ort meiner Kindheit. In den Osterferien 1990 ging unsere Reise dann los. Die Autofahrt war schon an sich aufregend: die tollen Autobahnen, die Infrastruktur, eine ganz neue Welt! Mit dem Geld sind wir tatsächlich über die Runden gekommen. Wir wohnten in einer Jugendherberge, kauften unser Essen in Geschäften und versorgten uns so selbst. Auch den nötigen Sprit für unseren Wartburg, der „gemischt“ werden musste, bezahlten wir von dem Geld. Im Westen waren wir richtige Exoten mit unserem Wagen und die Leute haben viel geguckt. Die Reise war wahnsinnig spannend, eine Spurensuche meiner Kindheit in einer Stadt, die sich völlig verändert hatte. Es war für mich aufwühlend und selbst für unsere beiden Söhne sehr interessant.